Mord in 85 Fällen: Niels Högel erneut zu lebenslanger Haft verurteilt

Nach einem Prozess von über sieben Monaten hat das Landgericht Oldenburg den früheren Krankenpfleger Niels Högel am 6. Juni 2019 für 85 Morde zu lebenslanger Haft verurteilt. Ferner stellte es zu seinen Lasten die besondere Schwere der Schuld fest. Das heißt, dass eine vorzeitige Entlassung nach 15 Jahren fast ganz ausgeschlossen ist.

Högel wurde vorgeworfen, zwischen 2000 bis 2005 nachweislich 85 Patientinnen und Patienten in den Kliniken Oldenburg und Delmenhorst mit Medikamentenspritzen getötet zu haben. In 15 Fällen wurde Högel freigesprochen. Zudem legte das Gericht Högel die Kosten des Verfahrens auf. 43 Taten hatte er gestanden. An 52 Todesfälle kann oder will er sich nicht mehr erinnern.

Am Tag zuvor hatte sich der Angeklagte bei den Angehörigen der Opfer entschuldigt. Er sagte: „Es ist mir immer gegenwärtig, wie viel unfassbares Leid ich durch meine schrecklichen Taten verursacht habe.“ Er habe unzähligen Menschen das Wertvollste genommen, das man haben könne: das Leben. „Reue und Scham sind meine täglichen Begleiter.“ In früheren Zeiten hatte er noch bestritten, jemals getötet zu haben. Später gestand er, sich nicht zu erinnern, beim Töten jemals eine längere Pause gemacht zu haben.

Kliniken ignorierten verdächtige Todesfälle

Ihm war es darum gegangen, sich nach den Injektionen bei der folgenden Reanimation als Retter zu zeigen, als Held dazustehen. Viele Patienten überlebten das jedoch nicht. H?gel war schon 2015 wegen zweifachen Mordes zu lebenslanger Haft verurteilt worden; er ist seit 2009 im Gefängnis Oldenburg.

Als besonders gravierend ist anzusehen – das kommt auch in unserem Buch zur Sprache -, dass der damalige Krankenpfleger so häufig auf Intensivstationen zur Stelle war und eingreifen konnte. Es gab wegen der zahlreichen Todesfälle durchaus manchen Verdacht gegen ihn, doch wirksame Folgen hatte das nicht. Kolleginnen und Kollegen, darunter auch Mediziner, und ebenso die Leitung der beiden Kliniken ignorierten die entsprechenden Hinweise. Es wurde jahrelang weggeschaut. Ärzte hätten gar nicht so lange zusehen dürfen, dass ein Pfleger sich immer wieder solche Eingriffe anmaßt; das wäre ihre Aufgabe gewesen.

Gegen den damaligen Chef der Intensivstation wird noch wegen Totschlags durch Unterlassen ermittelt; er berief sich vor Gericht auf sein Aussageverweigerungsrecht. Gegen sieben weitere Zeugen laufen Ermittlungen teils wegen Meineids, teils wegen uneidlicher Falschaussage. Gegen vier frühere Mitarbeiter aus dem Klinikum Delmenhorst wird noch Anklage wegen Totschlags durch Unterlassen erhoben.

Zweifel am Aufklärungswillen des Klinikchefs

Beim Fall Högel geht es um die größte Mordserie der neueren deutschen Kriminalgeschichte, die Gerichte jemals verhandelten. Unser Buch zeigt aber, dass es immer wieder Tötungen und Serienmorde in deutschen Heimen und Kliniken gab; 14 werden auf den Seiten 159 bis 165 dargestellt. Um solchen Taten vorzubeugen, gelten nun in Niedersachsen für Krankenhausapotheken strengere Vorschriften. Das soll es erschweren, dass das Personal nicht mehr wie der Pfleger Niels Högel so unkontrolliert an tödlich wirkende Medikamente kommt.

Nach dem Prozess hat die CDU der Stadt Oldenburg den Rücktritt des Klinikchefs Dirk Tenzer gefordert. Der Grund: Tenzer sei in seiner Position nicht länger tragbar, weil er bewusst Informationen zurückgehalten haben soll. Der Oldenburger OB Krogmann will überprüfen, ob die Klinik genug aufgeklärt habe. Der Vorsitzende Richter hatte in seiner Urteilsbegründung den Aufklärungswillen Tenzers angezweifelt, da er wichtige Unterlagen erst spät an die Ermittler ?bergeben habe. Der Richter erklärte ferner, dass offensichtlich Zeugenbeistände (meist Anwälte), die sogar die Klinik bezahlt habe, Mitarbeiter in ihren Aussagen zu beeinflussen versuchten.

Die Klinikleitung wies dies zurück. Sie meinte, es gehöre zur Fürsorgepflicht des Arbeitgebers, die betroffenen Mitarbeiter anwaltlich zu unterstützen. Und weiter: „Das Klinikum Oldenburg unterstützt seit September 2014 vorbehaltlos die Aufklärung der Vorfälle um Niels Högel.“ Deutliche Kritik an Tenzer war auch vom Sprecher der Angehörigen, Christian Marbach, gekommen. Nach den Äußerungen des Richters müsse die Klinik Tenzer „aus seiner Position entfernen“.
Eckart Roloff

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